3. IoT-Fachkongress 2019:

Ohne Standards geht es nicht

von Moritz Hell

Die Chancen und Herausforderungen von Künstlicher Intelligenz, 5G und weiteren Innovationen im Internet of Things standen beim 3. IoT-Kongress von Austrian Standards auf dem Programm.

„Die digitale Welt ist international, sie kennt weder sprachliche noch traditionelle Grenzen“, erklärte Austrian-Standards-Vizepräsident Manfred Matzka bei der Eröffnung des 3. IoT-Kongresses. Zur ausgebuchten Fachveranstaltung zum Trendthema Internet of Things (IoT) begrüßte er am 23. Oktober rund 120 Führungskräfte, Technologie-, Sicherheits- und Marketingspezialisten im Meeting Center von Austrian Standards. Unter den zahlreichen Gästen befand sich auch eine 24-köpfige Delegation russischer Unternehmer, Wissenschaftler und Interessensvertreter. Der Leiter der Delegation, Andrey N. Lotsmanov vom Russischen Unternehmerverband RSPP, bedankte sich für die Möglichkeit zur Teilnahme und verwies auf die langjährige erfolgreiche Zusammenarbeit von Österreich und Russland im Bereich der Standardisierung.

24 Expertinnen und Experten referierten unter dem Titel »Mit Standards in die Zukunft – gemeinsame Innovation im Zeitalter der Digitalisierung« über topaktuelle Themen wie den neuen Mobilfunkstandard 5G, Anwendungen und Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz und Smart Mobility sowie über neue Geschäftsmodelle des Industrial IoT und die Kraft der Disruption. Durch das umfangreiche Programm führte Manfred Wöhrl (Digital Society Austria), die Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig moderierte die teilweise kontroversiellen Podiumsdiskussionen.

Dr. Christopher Frauenberger von der Technischen Universität Wien

Smarte Helfer mit Potential für Missbrauch

Christopher Frauenberger, Senior Researcher in der Forschungsgruppe Human Computer Interaction der TU Wien, machte in seiner Keynote darauf aufmerksam, dass es 2030 im Internet of Things 125 Milliarden vernetzte Geräte geben wird – knapp 15 Devices pro Erdbewohner. Die Möglichkeiten sind vielfältig – intelligente, digitale Lösungen werden wertvolle Beiträge in der Medizin, beim Energieverbrauch und bei der Organisation komplexer Prozesse leisten. Smarte Anwendungen werden künftig dabei helfen, die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, kurz: SDGs) zu erreichen. Die Risiken der ungeheuren Datenmengen, die durch die Nutzung entstehen, würden dabei aber häufig unterschätzt, so Frauenberger. Daten können grundsätzlich bestimmten Personen zugeordnet werden, »Social Scoring«-Systeme, wie sie etwa China aufbaut, öffnen Überwachung, Bewertung und Sanktionierung Tür und Tor. Hinzu kommt, dass bereits heute der Datenverkehr smarter Geräte zur Hälfte mit »third parties« stattfindet. Hinzu kommt die potentielle Möglichkeit eines diskriminierenden Bias‘ durch Einstellungen und Intentionen der Programmierenden.

Ethik und neue Verhandlungsräume gefragt

Da der Phantasie im IoT kaum Grenzen gesetzt sind, ist es wichtig, so Frauenberger, dass sich alle an der Entwicklung des IoT Beteiligten ihrer Verantwortung bewusst sind. Es gehe auch darum, Technologie zu denken, die abseits bestehender Strukturen liegt. Die Gestaltung von Technologie nimmt Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft, Technologen werden dadurch – ob sie das wollen oder nicht – zu politischen Akteuren. Daher braucht es in Zukunft Verhandlungsräume, in denen debattiert wird, was erwünscht ist und was nicht, so der Wissenschaftler. Es geht darum, dass alle Akteure und Betroffenen einbezogen werden und bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen – den Standards und Gesetzen – mitwirken können.

Mag. Elisabeth Rettl von Hutchison Drei

Mehrwert durch 5G und Narrowband IoT

Elisabeth Rettl von Hutchison Drei Austria sprach sich in ihrem Vortrag über den Nutzen des neuen Mobilfunkstandards 5G für Unternehmen dafür aus, mehr darüber zu diskutieren, welche Anwendungen überhaupt Nutzen stiften und Mehrwert generieren. Es gelte, das große Ganze zu sehen und sich nicht in Details zu verlieren, so Rettl. Ein sehr wichtiger Punkt dabei sei »self everything« – also nicht nur Technologien zu standardisieren, sondern auch Zugänge für Unternehmen und Anwender zu schaffen, die alle ähnlich zu steuern sind.

Rettls Kollege Martin Schwarzinger beschrieb die Möglichkeiten des in Österreich bereits verfügbaren Narrowband IoT von Drei. Diese Technologie ist, ebenso wie der neue Mobilfunkstandard 5G, ein internationaler Industriestandard des 3rd Generation Partnership Project (3GPP), einer weltweiten Kooperation von Standardisierungsgremien für die Standardisierung im Mobilfunk, und kommt aktuell hauptsächlich bei Smart metering und Tracking zum Einsatz.

Österreichische Beteiligung an Standardisierung

Jörg Nachbaur von Austrian Standards und Richard Valenta vom österreichischen Verband für Elektrotechnik (OVE) berichteten in ihren Vorträgen über den aktuellen Stand der Standardisierung zum Internet of Things und der österreichischen Beteiligung daran. Nachbaur beschrieb unter anderem aktuelle Entwicklungen wie das Standardisierungsprojekt Managed Security Service Provider Requirements, das auf eine österreichische Initiative zurückgeht. Aktuell befinden sich beim zuständigen Komitee für Informationstechnologie der Internationalen Normungsorganisation ISO 561 Standards in Entwicklung. Richard Valenta führte aus, dass politische Entscheidungsträger, Aufsichtsbehörden und Verbraucherorganisationen sich hauptsächlich auf die Sicherheit des IoT für Verbraucher konzentrieren. Produkte wie Spielzeuge, Fernseher, intelligente Lautsprecher und andere Haushaltsgeräte stünden dabei im Fokus. Das neu gegründete Technische Komitee 124 der Internationalen Elektrotechnischen Kommission IEC widme sich tragbaren elektronischen Geräten und Technologien, so Valenta.

„KI ist eine neue Welt“

Jürgen Schmidt von Strg.at referierte über Daten und Semantik. Neuronale Netze werden nicht regelbasiert programmiert, sondern lernen ähnlich wie Menschen. Das Programm AlphaGo, das 2015 erstmals einen Menschen im Brettspiel Go besiegte, kannte etwa die Regeln des Spiels nicht. Es wurde zuvor lediglich mit 8.000 verschiedenen Spielvarianten gefüttert und leitete daraus jene Muster ab, mit denen es gewinnen konnte. Artificial Intelligence sei nicht vergleichbar mit früherer Programmierung, erklärte Schmidt, es sei eine völlig neue Welt. Sich nicht damit zu beschäftigen, käme einem organisatorischen Selbstmordurteil gleich, warnte der Digital- und KI-Experte.

Machine Learning: „Einfach beginnen“

Der Automatisierungsspezialist Balazs Bezeczky von Beckhoff Automation illustrierte in seinem Vortrag, wie Digitalisierung und Machine Learning in Unternehmen erfolgreich eingesetzt werden können. Wichtig ist es, so der Spezialist, Stolpersteine zu vermeiden, die Möglichkeiten von Machine Learning zu kennen, sich über die eigenen Ziele im Klaren zu sein und seine Strategie konsequent zu verfolgen. Er regte an, angstfrei mit dem Thema umzugehen und einfach einmal zu beginnen – etwa mit einer automatisierten Erkennung von Anomalien bei Zahlungseingängen.

Zahlreiche Aktivitäten in Österreich und auf EU-Ebene

Über die Aktivitäten des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) zum Thema Künstliche Intelligenz referierte Markus Triska. Er berichtete von Initiativen auf EU-Ebene wie Digitizing European Industries und den Coordinated Action Plan for AI (Artificial Intelligence) sowie über die österreichische AI-Strategie und konkrete Projekte seiner Abteilung wie »MeinPostkorb« für die elektronische Zustellung und »OnceOnly«, einem System zur Vermeidung von Mehrfachmeldungen. Darüber hinaus unterstützt das BMDW die Standardisierung von AI-Technologien durch die Beteiligung an Gremien zu Themen wie Blockchain und Programmiersprachen für AI-Verfahren.

Offene Rechtsfragen bei Datenschutz und Haftung

Veronika Wolfbauer von Schönherr Rechtsanwälte eröffnete die erste Praxissession am Nachmittag. Sie sprach über rechtliche Aspekte digitaler Use Cases und illustrierte datenschutzrechtliche Aspekte, die zum Tragen kommen, wenn Mitarbeiter eigene Geräte verwenden. Auch arbeitsrechtliche Fragestellungen, die sich durch dezentrales Arbeiten und die mehr oder weniger beabsichtigte Überwachung von Mitarbeitern ergeben, sprach die Juristin an. Neue infrastrukturelle Konzepte wie Smart Homes und Smart Cities würden neben gewaltigen Datenmengen auch zu einer Vielzahl offener rechtlicher Fragen führen, erklärte Veronika Wolfbauer und verwies in diesem Zusammenhang auf ihr aktuelles Buch »Smart Office – Rechtliche Aspekte digitaler Use Cases. Die Grundlagen für Ihre digitale Unternehmenszukunft«.

Die Grenzen aktueller Entwicklungen wie Künstlicher Intelligenz, Big Data oder Smart Contracts thematisierte auch Johannes Juranek von CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte. Er beschäftigte sich in seinem Vortrag mit den rechtlichen Herausforderungen konkreter Anwendungen, wie etwa der Preisbildung von Grundnahrungsmitteln oder der Frage nach der Haftung bei automatisierter Verkehrs- oder Gesundheitsüberwachung.

IoT schafft Mehrwert, Fairness entscheidend für Open Innovation

Johannes Schacherl vom Softwareentwickler dataformers referierte über IoT-getriebene Geschäftsmodelle in der österreichischen Industrie. Er präsentierte konkrete Anwendungsbeispiele aus den Bereichen Spritzgusstechnik und Recycling. Anhand des »Fischmodells« zeigte er die finanzielle Belastung von Unternehmen durch die digitale Transformation und demonstrierte anhand der »Fünf Layer von IoT«, wie aus der Verbindung von physischer und digitaler Welt Mehrwert für den Kunden entsteht.

Über die unauflösbare Triade von Open Innovation, geistigem Eigentum und Fairness sprach Peter Pawlek vom Austria Wirtschaftsservice aws. Der Schutzrechtsexperte betonte die besondere Herausforderung, die Open Innovation für Klein- und Mittelbetriebe darstellt und wies auf das fehlende Bewusstsein für die Relevanz geistigen Eigentums und der notwendigen Instrumente in diesem Bereich hin. Für erfolgreiche Open-Innovation-Projekte müssen Unternehmen in Fairness in den Bereichen Verteilung, Verfahren und Interaktion investieren, erklärte Pawlek.

Autonomes Fahren braucht zeitgemäße Rechtsgrundlagen

Wie sich die Digitalisierung von Fahrzeugen vom Selbstfahren zum hochautomatisierten Fahren entwickelt, beschrieb Thomas Stottan von Audio Mobil Elektronik in seinem Vortrag. Er wies auf die Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und technischer Realität hin und betonte, dass aktuell erst die Freigabe der zweiten von fünf Stufen des automatisierten Fahrens diskutiert werde. Die zunehmende Komplexität lasse sich auch an der Zahl der Bedienelemente ablesen: War ein PKW-Cockpit 1983 noch mit gerade einmal sieben Funktionen ausgestattet, so verfügt ein durchschnittlicher Mittelklassewagen 2019 bereits über mehr als 64 Funktionen. Unaufmerksamkeit ist mit einem Anteil von 37% die Hauptunfallursache. Gerade vor dem Hintergrund zunehmender Automatisierung brauche es zeitgemäße Rechtsgrundlagen zur Bediensicherheit. Ein erster Ansatz sei etwa die aktuelle ÖNORM V 5090 für Prüfverfahren zur visuellen Ablenkung von Fahrern durch Bedienelemente, so Stottan.

Digitrans-Geschäftsführerin DI Eva Tatschl-Unterberger

Eva Tatschl-Unterberger, die Geschäftsführerin von digitrans, der oberösterreichischen Testregion für Gütermobilität, erklärte in ihrem Vortrag, dass die wesentliche Frage zu automatisierten Fahrzeugen jene ist, wie wir diesen autonomen Fahrzeugen die Nutzung der Straße erlauben und welche Bewertungskriterien und Szenarien dabei zur Anwendung kommen.

Sicherheit im IoT im öffentlichen Interesse

Über Risikomanagement in Zusammenhang mit dem Internet of Things referierten der Sicherheitsexperte Thomas Bleier von B-Sec und Mario Drobics, Senior Engineer im Digital Safety & Security Department des Austrian Institute of Technology AIT. Die größten IT-Angriffe der jüngeren Vergangenheit seien von Bot-Nets im IoT ausgegangen, erklärte Bleier. Nicht zuletzt deswegen werde Sicherheit im Internet of Things auch zunehmend zu einem öffentlich wahrgenommenen Thema, wie etwa das erste IoT-Gesetz, das 2018 in Kalifornien erlassen wurde, zeige. In dasselbe Horn stieß auch Mario Drobics: Vertrauen gewinnt im Zusammenhang mit den Herausforderungen von IoT wesentlich an Bedeutung, erklärte er. Technologie sei dabei nur ein – wenngleich auch wesentlicher – Bestandteil. Darüber hinaus brauche es Standards und Personen mit dem entsprechenden Verständnis, um Prozesse erfolgreich zu managen.

Innovationsberater Markus Petzl von Disruptive

Wer gestaltet die Spiegelwelt?

Der Innovationsberater Markus Petzl von Disruptive demonstrierte im Abschlussplenum anhand von Beispielen aus der Musik- und Automobil-Industrie anschaulich die innovative Kraft der Disruption. War vor knapp 20 Jahren noch die teure Schallplatte das »tonangebende« Medium, so ist Musik heute – dank Digitalisierung, mp3 und iTunes – als Streamingangebot zu nahezu vernachlässigbaren Kosten erhältlich. Ähnliches zeichne sich mit dem autonomen Fahren ab. Die höhere Verkehrssicherheit werde bedeutende Auswirkungen auf Werkstätten, Versicherungen und weitere Branchen haben, erklärte Petzl. Disruptive Entwicklungen passieren nicht linear, sondern exponentiell. Auf dieses um ein Vielfaches höhere Tempo sind die europäische Wirtschaft und unser Bildungssystem nicht ausgerichtet – im Gegensatz zum Silicon Valley, wo Disruption quasi in die DNA eingeprägt ist. Im Artikel »Mirrorworld« beschreibt der Autor Kevin Kelly den großen Paradigmenwechsel, der in den nächsten zwanzig Jahren stattfinden wird. In einer digitalen Repräsentation der realen Welt – der Spiegelwelt – würden bereits jetzt Themen, Inhalte und Ansätze verhandelt und erprobt, die noch völlig utopisch klängen. Wer in dieser Spiegelwelt dabei sein darf, wer die Regeln macht und wer sie moderiert, seien Fragen, die derzeit verhandelt würden. Eine Herausforderung, der sich auch die Standardisierung stellen muss.

Breiter Konsens: Das IoT braucht Standards

Bei den teils kontroversiell geführten Podiumsdiskussionen kamen unterschiedliche Themen zur Sprache. Die Moderatorin Ingrid Brodnig brachte den durchgängigen Konsens auf den Punkt: Es braucht Standards, die regeln, wie Dinge im IoT miteinander kommunizieren, auch wenn Standards nicht ganz allein alle Probleme lösen können. Ein weiterer Grundtenor: Wer nicht flexibel und schnell genug ist, verpasst den Anschluss und überlässt Konsortien mit anderer Agenda das Feld; Industriekonsortien seien eine reale und konkrete Gefahr.

Quelle: Austrian Standards

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